Hunderte Besucher zog es zur Informationsveranstaltung des Landkreises Wolfenbüttel, um die geladenen Mitglieder des Bundestages zur Lex Asse zu befragen.
Viele Anwohner und Mitglieder von Bürgerinitiativen nutzten die Gelegenheit in der Lindenhalle, um ihrem Ärger und ihrer Angst vor einem schlechten Gesetzesentwurf und einem möglichen Abbruch der Rückholung des Atommülls aus dem Schacht Asse II Luft zu machen. Als Berichterstatter des Bundestages stellten sich Dorothée Menzner (Linke), Dr. Matthias Miersch (SPD), Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) und Maria Flachsbarth (CDU) den Fragen des Publikums und den Stellungnahmen einiger Mitglieder der Asse-2-Begleitgruppe (A2B).
Wolfenbüttels Landrat Jörg Röhmann machte in einem kurzen Rückblick zu Beginn deutlich, dass die konkrete Rückholungsthematik die Region bereits seit über sechs Jahren beschäftigt. Röhmann wies darauf hin, dass der Niedersächsische Landtag im vergangenen Jahr die vollständige Bergung der eingelagerten radioaktiven und chemotoxischen Abfälle als Ziel ausgegeben hatte. Mit dem Entwurf zur Lex Asse sei man als A2B erstmals nicht nur kritisch begleitend, sondern konstruktiv tätig geworden, so Röhmann.
Rechtsanwalt Hartmut Gaßner, der im Auftrag der Asse-Begleitgruppe einen Entwurf einer Lex Asse vorgelegt hatte, stellte zu Beginn des Abends einige strittige Punkte und Formulierungen des Entwurfs vor. Entgegen anderslautender Meinungen sei laut Gaßner nach dem Lex Asse ein Abbruch der Rückholung nur möglich, wenn der Bundestag unterrichtet und die Öffentlichkeit beteiligt werde. Selbst dann müssten jedoch strahlenschutz- oder bergrechtliche Gründe für einen Abbruch sprechen. Gaßner ging bei einigen Formulierungen weiter ins Detail. In der fraktionsübergreifenden Diskussion im Bundestag hätten die Parteien beispielsweise die Formulierung “Die Stilllegung soll vorzugsweise nach Rückholung der radioaktiven Abfälle erfolgen” bewusst um den Begriff “vorzugsweise” ergänzt, um dem “soll” Nachdruck zu verleihen. “Vorzugsweise” sei juristisch jedoch verzichtbar, so Gaßner. Damit sprach der Rechtsanwalt einen der Hauptstreitpunkte des Abends an, der schließlich laut der Berichterstatterinnen des Bundestages auch Eingang in den weiteren Gesetzgebungsprozess finden wird.
“Vorzugsweise könnte anders verstanden werden, nämlich als mögliche Einschränkung”, sagte etwa Michael Fuder vom Asse-2-Koordinationskreis in seiner Stellungnahme zur Lex Asse. “Es darf niemand auf die Idee kommen, dass die Rückholung erneuter Diskussion bedarf.” Fuder forderte in der von ihm verlesenen Stellungnahme des Asse-2-Koordinationskreises außerdem, das Verb “abbrechen” durch “unterbrechen” zu ersetzen, um den Beginn des Abwägungsprozesses deutlich zu machen. “Der Abbruch muss am Schluss eines solchen Prozesses stehen und hoffentlich wird er es nie tun. Bis dahin kann es sich nur um eine Unterbrechung handeln”, so Fuder.
In diese Formulierungsbresche sprang auch Björn Försterling (A2B, MdL, FDP) in seiner Stellungnahme gegenüber den Berichterstattern des Bundestages. “Die Definition der Abbruchkriterien ist zu schwammig”, sagte Försterling. Es müsse bereits im Vorfeld geklärt werden, wer die Abwägung des Abbruchs nach welchen Kriterien mache. Aktuell sei dies zudem eine reine Exekutiventscheidung, jedoch müsse “die Entscheidung aktiv durch die Parlamentarier getroffen werden”, forderte Försterling. “Wir brauchen das Gesetz. Aber wir müssen aufpassen, dass nicht die Stilllegung beschlossen wird.” Victor Perli (A2B, MdL, Die Linke) erinnerte diesbezüglich an den Landtagsbeschluss, der von der Rückholung als Ziel handelt. “Die Lex Asse hat das Ziel der Stilllegung. Nur vorzugsweise soll das durch Rückholung passieren – das Gesetz läuft Gefahr, zum Rückholungsabwicklungsgesetz zu werden”, mahnte Perli und forderte, weitere Rechtsexperten hinzuzuziehen, um eine nachhaltige Qualifizierung des Entwurfs zu erreichen. Außerdem beschrieb Perli die Anhörung im Bundestag (öffentliche Sitzung am 20. Februar) als Farce. “Dort sollen bislang nur Vertreter angehört werden, die dem Entwurf bereits zugestimmt haben oder gänzlich gegen die Rückholung sind”, so Perli. “Es gibt niemanden, der die Regionsinteressen unabhängig vertreten kann.”
“Es ist nachvollziehbar, dass sie dem Gesetzesentwurf mit Misstrauen begegnen”, sagte Sylvia Kotting-Uhl (MdB, Grüne). “Das kann man nur im Verlauf eines transparenten Prozesses ausräumen. Aber nur wenn wir reinschreiben, wir wägen ab, können wir den Abbruch verhindern.” “Der Gesetzentwurf ist diskutiert worden, um die Rückholung zu beschleunigen. Das steht da auch drin”, sagte Maria Flachsbarth (MdB, CDU) und erntete dafür zahlreiche “Nein”-Rufe aus dem Publikum. “Sie können unbestimmte Rechtsbegriffe nicht aufheben”, sagte Dr. Matthias Miersch (MdB, SPD) zum Wunsch, viele Formulierungen präziser auf die Rückholung zuzuschneiden. Miersch verwies darauf, dass vor allem verfahrensrechtliche Fragen zum Erfolg des Rückholung beitragen würden.
Um den Formulierungswünschen zumindest in Teilen zu entsprechen, sprachen sich die Berichterstatter des Bundestages für die Ergänzung durch eine Präambel aus, wie sie die Initiative “Um die Asse besorgte Bürgerinnen und Bürger” in mehreren Stellungnahmen aus dem Plenum forderte. So könne vor der Juristensprache das Ziel des Gesetzes noch einmal klargemacht werden, stimmte Sylvia Kotting-Uhl (MdB, Grüne) dem Vorschlag zu. “Auch das “vorzugsweise” ist noch einmal zu überdenken.”
Stimmen und Meinungen (Auszug)
Landrat Jörg Röhmann (SPD): “Die Stilllegung endet nicht mit der abgeschlossenen Rückholung.”
Stefanie Nöthel, BfS-Vizepräsidentin: “Die Standsicherheit (in der Asse) kann nur für wenige Jahre im voraus berechnet werden – etwa für zehn Jahre. Die Rückholung wird länger dauern, das ist aber kein Grund, nicht damit anzufangen.”
Michael Fuder (Asse-2-Koordinationskreis und Bündnis90/Die Grünen) forderte ein Asse-Gesetz, das folgenden Kriterien genügt: 1. bestmögliche Beschleunigungswirkung für die Rückholung, 2. bestmöglicher Schutz vor einer unnötigen Ausuferung eines Notfalls mit der Konsequenz einer Verfüllung mit Flutung, 3. maximale Rechtssicherheit für den Rückholungsprozess.
Victor Perli (A2B und Die Linke) fordert die Zuhilfenahme unabhängiger Sachverständiger und Juristen, um den Lex-Asse-Entwurf zu verbessern. “Es muss davon ausgegangen werden, dass dies auf absehbare Zeit die letzte Möglichkeit ist, um rechtliche Voraussetzungen für die Rückholung zu verbessern und Schlupflöcher zu schließen.” In einer öffentlichen Antwort vom 3. Januar 2013 auf eine Anfrage des Asse-II-Koordinationskreises zur “Durchsetzung der Rückholung” folgert Perli außerdem: “Hiesige Vertreter der politischen Parteien müssen jeweils Einfluss darauf nehmen, dass der Gesetzentwurf bei der geplanten Bundestagsanhörung am 20. Feburar durch kritischen Sachverstand auf Herz und Nieren geprüft werden kann anstatt – wie der bisherige Plan es vorsieht – nur am Gesetzentwurf bereits Beteiligte anzuhören.”
Udo Sorgatz, Braunschweig: “Ich habe kein Misstrauen – ich habe Erfahrungen gemacht und nun kein Vertrauen mehr.”
Eckbert Duranowitsch, Wolfenbüttel: “Wenn die Rückholung beginnt, müssen auch die entsprechenden Mittel bereitgestellt werden.”
Dipl.-Ing. Klaus Peters, Wolfenbüttel: “Es kommt nicht darauf an, dass sich alle einig sind. Wichtig ist, dass das Gesetz gut ist.” (zum Konsens der Bundestagsparteien)
Initiative “Um die Asse besorgte Bürgerinnen und Bürger”
Eleonore Bischoff, Wolfenbüttel: “Danke, dass diese Veranstaltung nach dem Kreistagsbeschluss nun stattfindet. Bei unseren Aktionen in der Fußgängerzone haben wir festgestellt, dass die Bürger das Gesetz gar nicht kennen. Ich habe nicht das Gefühl, dass gearbeitet wird wie bei einer Katastrophe.”
Jurist Enno Gerdes, Hötzum: “Staatliches Handeln bedarf einer Orientierung, die steht aber nicht im Gesetz. Mir ist eine gute Regelung lieber, als ein Konsens (der Parteien).” Man solle in den Lex-Asse-Entwurf schreiben, dass “größtmögliche Anstrengungen unternommen werden”.
Bedenken der “Um die Asse besorgte Bürgerinnen und Bürger”(Auszug; ergänzt am 11.2.2013)
In einer schriftlichen Stellungnahme der “Um die Asse besorgte Bürgerinnen und Bürger” machen sie außerdem auf ihre Bedenken aufmerksam (Auszug):
“Wir haben Bedenken gegen folgende Regelungen:
- Das BfS entscheidet als einzige Fachbehörde darüber, wann abgebrochen und wie weiter vorgegangen wird (keine Trennung zwischen Betreiber und Aufsicht).
- Es wird von Abbruch der Rückholung, nicht von Unterbrechung gesprochen und die Abbruchkriterien sind nicht abschließend geregelt.
- Auch der Bundestag soll vor einer Entscheidung zum Abbruch nur vom Betreiber – also ohne zweite Fachmeinung informiert werden.
- Die beschleunigten Verfahren gelten auch für andere Schließungsoptionen, also auch für die Flutung.
- Bisher wäre die Flutung beim Verbleib des Mülls rechtswidrig, da die Langzeitsicherheit nicht gewährleistet ist. Erst durch dieses Gesetz würde sie als mögliche Variante im Rahmen eines Abwägungsprozesses legalisiert und zusätzlich beschleunigt, weil die Beschleunigungsmaßnahmen nicht nur für die Rückholung, sondern allgemein für die Schließung der Asse gelten.”