Interview mit Regina Bollmeier
“Es ist ein langes Antragsprozedere, aber es ist gut, dass alles vorschriftsmäßig läuft. So ist später alles genau nachzuvollziehen”, sagt Regina Bollmeier, Bürgermeisterin der Samtgemeinde Asse, mit Blick auf die Verzögerungen bei der Umsetzung der Schließung des Atommüllagers Asse II. Desweiteren lobt sie im Interview die bisher geleistete Arbeit der Asse-2-Begleitgruppe. Wie Bollmeier berichtet, prüfe sie derzeit Möglichkeiten, einen Entschädigungsfonds für die Bewohner der Samtgmeinde Asse einzurichten, und nimmt Stellung zum kürzlich aufgeworfenen Phänomen der “verlorenen Mädchen”.
Frau Bollmeier, wie fällt Ihr Zwischenfazit in Bezug auf die Arbeit der Asse-2-Begleitgruppe aus?
Die Arbeit in der Gruppe ist sehr positiv. Die Gruppe bringt alles konsequent an die Öffentlichkeit.
Wie wichtig ist dabei die Zusammensetzung innerhalb der Begleitgruppe?
Durch Landrat Jörg Röhmann kommen wir schnell an Informationen. Die wissenschaftlichen Experten in der Gruppe können gleich alles durchleuchten. Dadurch haben wir die Möglichkeit, alles kritisch zu begleiten. Man muss sagen, dass die Arbeit hervorragend ist und dass wir ohne die Gruppe nicht so weit wären, wie wir jetzt sind. Die Asse-2-Gruppe hat es geschafft, dass die Bevölkerung umfassend informiert ist. Das hat es vorher nicht gegeben.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Strahlenschutz verändert?
Am Anfang war es sehr zähflüssig und man musste immer nachhaken, wenn man Unterlagen haben wollte. Das läuft jetzt besser und der Einfluss der Asse-2-Gruppe ist wichtig. Es gibt schnellere Wege und dadurch eine schnellere Einflussnahme. Die Gruppe ist ein gewünschtes Bindeglied zur Bevölkerung.
Momentan läuft die Diskussion um einen Entschädigungsfonds. Wie weit sind dort die Gespräche?
Wir haben mit den Fraktionsvorsitzenden der Parteien in der Samtgemeinde ein Gespräch mit Sigmar Gabriel zur Beratung geführt, um uns beraten zu lassen. Wir möchten eine Entschädigung für das, was war, und für das, was noch kommt. Ich bin zuversichtlich, aber es wird ein langer Prozess.
Wie könnte solch eine Entschädigung aussehen?
Ich habe ein Modell mit zwei Säulen im Kopf. Zum einen geht es um eine gute Infrastruktur für die Bewohner. Die Leute fühlen sich natürlich direkt betroffen, gerade wenn es um ihre Grundstücke geht. Sie fürchten, dass diese nichts mehr wert sind. Die zweite Säule wäre eine direkte Entschädigung für die Bürger. Wir sind eine hochverschuldete Gemeinde und haben kein Geld, das wir für die Bevölkerung investieren können. Mit der Entschädigung könnte man zum Beispiel Kitas und Schulen zurechtmachen oder Kita-Gebühren übernehmen. Das sind einige der Ideen, die wir haben, wie man die Mitbürger vor Ort entschädigen kann.
Schlagen sich die Befürchtungen der Bewohner um ihre Grundstücke auch in den Einwohner-Statistiken nieder?
Nein, es gibt keine gesteigerte Abwanderung. Nur die übliche Abnahme der Einwohnerzahlen durch den demografischen Wandel, wie bei anderen Gemeinden auch. Es gibt auch keine Leerstände, alle Häuser werden schnell wieder verkauft. Nur Fremde, die sich nicht weitergehend mit der Thematik beschäftigen, haben Bedenken. Ansonsten fühlen sich die Leute hier nach wie vor sehr wohl.
Um festzustellen, ob, beziehungsweise welche Gefahr besteht, wenn die Kammern mit radioaktivem Müll geöffnet werden, sollen Probebohrungen stattfinden. Wie ist diesbezüglich der derzeitige Stand?
Leider liegen wir hier deutlich hinter dem Zeitplan, was an dem langwierigen Genehmigungsverfahren liegt. Die Genehmigung wird für Ende Februar erwartet. Hinzu kommt, dass das Bundesamt für Strahlenschutz natürlich größten Wert auf die Sicherheit seiner Mitarbeiter legt, die dann die Bohrungen in der Asse vornehmen werden. Das ist absolut verständlich. Deshalb ist klar, dass man sich durch die aktuell laufenden Trockenbohrungen erstmal mit der Technik vertraut machen muss. Die Probebohrungen werden dann weitere wichtige Erkenntnisse bringen. Allerdings wird das ebenfalls noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Könnte dahinter eine Verzögerungstaktik stecken? Es gibt ja solche Vorwürfe.
Es ist ein langes Antragsprozedere, aber es ist gut, dass alles vorschriftsmäßig läuft. So ist später alles genau nachzuvollziehen. Aber wie gesagt: Es ist sehr zähflüssig. Da kommt natürlich schonmal die Befürchtung auf, dass das so gewollt ist. Zumal sich praktisch stündlich die Lage in der Asse verändern kann und plötzlich die vom BfS bevorzugte Schließungsoption der Vollverfüllung als Notfallmaßnahme zum Einsatz käme. Aber noch einmal: Das BfS hat eine große Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern. Ich habe eher das Gefühl, dass es Abstimmungsprobleme gibt zwischen den involvierten Einrichtungen, BfS, BMU, NMU und Bergamt. Da ließe sich sicherlich zeitlich einiges optimieren.
Hinter der Frage, wo genau künftig das Zwischenlager entstehen soll, wenn die Abfälle aus der Asse II geholt und neu konditioniert werden sollen, steht noch ein großes Fragezeichen…
Dazu kann ich derzeit noch nichts sagen. Wir sprechen ja hierbei von einer riesigen Fläche, die das Zwischenlager in Anspruch nehmen würde. Ich weiß noch nicht, wo genau das entstehen soll. Als Vorgabe weiß ich lediglich, dass es “möglichst dicht am alten Schacht” liegen soll. Was genau “möglichst dicht” bedeutet, werden wir hoffentlich im Frühjahr erfahren.
Zuletzt kam in den Medien das Thema der “verlorenen Mädchen” auf. Im Zeitraum von 1971 bis 2009 sind in der Samtgemeinde Asse 60 Mädchen weniger geboren worden, als es die Geburtenprognose hätte erwarten lassen. Wie stehen Sie dieser Statistik gegenüber?
Ich nehme das Thema ganz sicher nicht auf die leichte Schulter. Es kann schon sein, dass da was dran ist. Ich befürworte, dass das untersucht wird, um zu überprüfen, ob das Atommülllager tatsächlich etwas damit zu tun hat. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es Auswirkungen von der damaligen Einlagerung gibt. Auch die Abweichungen zu anderen Kommunen müssen untersucht werden. Allerdings haben wir momentan in der Samtgemeinde sogar einen leichten Mädchenüberschuss, deshalb kann ich mir das nicht erklären. Und 60 Mädchen in einem Zeitraum von fast 40 Jahren ist auch keine Zahl, die uns alle sofort in Panik versetzen sollte. Insbesondere weil wir bei den “verlorenen Mädchen” nicht von Fehlgeburten sprechen, sondern einfach von nicht gezeugten Mädchen.
Interessant ist aber, dass ein solches Phänomen auch schon in der Nähe anderer Atomanlagen aufgetaucht ist, beispielsweise nach der Tschernobyl-Katastrophe…
Ja, das ist schon ein etwas beunruhigender Punkt. Aber deshalb hoffe ich ja auch, dass das Zustandekommen dieser Zahlen weiterhin untersucht wird.